23:  Sprache und Politik am  Beispiel der Deutschen Sprache

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 Von Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908 – http://www.zeno.org – Zenodot Verlagsgesellschaft mbH, PD-Amtliches Werk, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=5439960

Auch dieses Beitragsbild dient „nur“ der Illustration des folgenden Post-Themas. Aber es ist ein Bild, und alle Bilder zeigen immer nur Ausschnitte aus der Wirklichkeit. Auch diese Ordens-Sammlung zeigt „nur“ die Ehren-Abzeichen, mit denen Soldaten ausgezeichnet worden sind. – (Als mein Sohn noch dabei war, seinen Wortschatz zu vervollständigen [4 oder 5 Jahr alt?], nannte er diese „Abzeichen“ einmal „Soldatenbroschen.“ Traf den Sachverhalt ganz gut, fand ich.) – Damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich bin für die Bundeswehr nach ihrer derzeitigen gesellschaftlichen (und politischen) Stellung. Und ich bin sehr dafür, dass besondere Leistungen anerkannt und auch öffentlich gemacht werden, – in jedem berechtigten Fall. Das ist schließlich eine offizielle Ehrbezeichnung des (Ordens-)Trägers für eine erbrachte (besondere) Leistung. Für eine persönliche Leistung, die über das erwartbare Maß hinausgegangen ist und dafür bekannt gemacht und gelobt werden kann. Nur in einer Anhäufung wie hier oder an der hochdekorierten Parade-Uniform von ‚im Kampf ergrauten‘ Kriegern kann ich ein Schaudern kaum unterdrücken. Vor allem auch: weil sich bestimmte „Taten“ plötzlich auch in der Sprache wiederfinden.

In diesem Post soll auf die Manipulationen der Sprache hingewiesen werden. Damit ist zunächst der normale Vorgang gemeint, den Sie ganz am Anfang kennengelernt haben, als es um Bezeichnungen (‚Namen‘) für Dinge ging, mit denen die Sprecher einer Sprache zum ersten Mal in Berührung kamen (Post 5). Bei jedem Versuch, anderen Menschen die eigene Meinung nahezubringen, benutzt man seine eigenen sprachlichen Mittel. Manipulation der umgangssprachlichen Gewohnheiten einer ganzen Gesellschaft ist allerdings mehr als die sachlich richtige Handhabung (manus [lateinisch] = Hand) eines Wortes; – Manipulation ist dann die verdeckte Einflussnahme auf Sprache und ihre Bestandteile. Denn hinter den Techniken der Einflussnahme verbergen sich bestimmte Interessen einer bestimmten Gruppe (einer Lobby). Das alles muss keineswegs so gefährlich sein, wie es hier anklingt. Man kann auch sagen: das ist ein rhetorisches Stilmittel, das ein Comedian genauso benutzt wie ein guter Lehrer und ein Werbetexter (mehr dazu im folgenden Post 24 = Sprechen und Denken ..).

Hier ist Manipulation aber in ihrer für unsere Sprache gefährlichen Ausprägung gemeint. Dazu zwei Beispiele:

  • Als ich diesen Post (mit diesem Thema) plante, war ich längst auch Deutschlehrer mit dem ganzen Rundum-Studium, das so in den Vorlesungsverzeichnissen stand (und steht). Ich ärgerte mich manchmal über die militante Sprache in den Sportreportagen und Sportberichten, die Sportler an vorderster Front kämpfen ließ oder die Gegenspieler erledigte, die sich zuvor bis zum letzten Blutstropfen verteidigt hatten. Der Trainer (oder so ein richtiger Oberlehrer) hatte seine Mannschaft (seine Schülerinnen und Schüler?) auf Vordermann gebracht. – Haben Sie gemerkt, was gemeint ist? – Aach soo, werden sie sagen,  Nullachtfuffzehn! Im Westen nix Neues! Ist doch  kalter Kaffe! Gehen Sie’s doch nicht so frontal an![1] [1]Die Älteren unter Ihnen haben die Diskussion um das Militärische in der Sprache der Sportberichterstattung noch in Erinnerung. Vielleicht kam die Kritik an der Häufung von Wörtern und Idiomen (festen Redewendungen) sogar aus den Kreisen der Sportwelt: Bis auf einige inzwischen dauerhaft übernommene Begriffe (Sturm, Angriff, Flanke u. ä.) sind die wirklich aggressiven, kriegerischen Redewendungen im Deutschen deutlich seltener geworden als im Englischen
  • In meinem Film-Studium (Kunstlehrer müss-[t]en auch über Fotografie, Film und Fernsehen Bescheid wissen!) habe ich zweimal einen Unterrichtsfilm (FWU) über Bergarbeiter in Bolivien analysiert, – einmal mit dem Originalkommentar im Off-Ton [2] [2]Off-Ton ist ein Begriff aus der Filmtechnik: Neben dem sichtbaren Ablauf der Filmhandlung wird „von außen“/aus dem Off  ein Text (dazu)gesprochen,- von einer Person, die („im Bild“) gar nicht zu sehen ist, z.B.: von einer Reporterin oder – wie hier – von einem „Sprecher“, der die Filmbilder und -szenen der Minenarbeiter und des Erz-Abbauvorgangs – wie in einem „Lehrtext“ für Wirtschaftsgeographie des filmischen Bildmaterials erläuterte; und dann mit einem gesprochenen Text von Wim Wembers[3] [3]Wim Wenders (* 14. August 1945 als Wilhelm Ernst Wenders in Düsseldorf) ist ein deutscher Regisseur und Fotograf. Zusammen mit anderen Autorenfilmern des Neuen Deutschen Films gründete er 1971 den Filmverlag der Autoren. Von 2003 bis 2017 war er Professor für Film an der Hochschule für bildende Künste Hamburg [Ein Autorenfilm ist der künstlerische, frei erfundene Film eines ‚Filmemachers‘, ein Kunstwerk wie eine Komposition, ein Gedicht, ein Bildwerk oder ein Theaterstück],  der vordringlich die alltägliche Schinderei der Minenarbeiter und ihrer Familien thematisierte, – und das zu den gleichen Filmszenen, ohne Kürzung oder Veränderung! Das hat mir für dieses Thema die Augen (und Ohren) geöffnet. – – –

Erst nachdem mir der Text aufgefallen war, den ich gleich zitieren möchte (und nachdem mir auch der Spielberg-Film wieder eingefallen war, aus dem unten zitiert wird), ist mir klar geworden, dass ich als alter Zeitzeuge auch noch bessere Beiträge liefern kann, als oben in der kleinen Einleitung. Ich werde meine „Gedanken“ zu diesem Thema einfach anhängen – als Nr. 3.

Ich zitiere zunächst aus einem Wikipedia-Beitrag zwei Autoren, die sich intensiv und engagiert dem Thema Sprachmanipulation gewidmet haben.  Interessierte unter Ihnen können eine Fülle ähnlicher Fachliteratur finden. 

Nr. 1:  In diesem Text sind nicht zufällig beide Phasen der Sprachmanipulation durch politische Macht dokumentiert. Liegt die erste Phase, der ‚erste Fall‘ (Deutsche in Kriegszeiten) immerhin schon zwei bis drei oder vier Generationen zurück, so betrifft der ‚zweite Fall‘ (die „Sprache der DDR“) doch nahezu alle dort aufgewachsenen Menschen, Frauen, Männer, Kinder; denn es war/ist die Muttersprache!) Horst Dieter Schlosser: Sprache unterm Hakenkreuz. Eine andere Geschichte des Nationalsozialismus. Böhlau Verlag, 423 S., 34,90 Euro.[4] [4]Nazis: ein Kurz- und Schimpfwort für Nationalsozialisten (Sozis: ab ca. 1920 – Schimpfwort für Sozialisten; heute auch: Schimpfwort für Sozialdemokraten

In Steven Spielbergs Film „Schindlers Liste“ entspann sich in einer Sequenz ein kurzer linguistischer Dialog, die Semantik [Bedeutung] betreffend: Schindlers Sekretär Itzak Stern gab zu Bedenken: „In den Weisungen aus Berlin ist immer häufiger von ‚Sonderbehandlung’ die Rede. Ich hoffe, das ist nicht, was sie meinen“. Schindler: „Vorzugsbehandlung, einverstanden? Müssen wir eine ganz neue Sprache erfinden?“ Darauf Stern: „Ich glaube schon“. „Sonderbehandlung“ – darin steckt das Wort Hand.

Aber eine Hand kann streicheln und schlagen, liebkosen und züchtigen, sogar töten. Mithilfe der Hände kann man handeln und behandeln. Wer immer handelt oder jemanden behandelt, tut es nach Willkür und Laune, aus einer Position der Herrschaft über den anderen und oft im üblen Sinn. Die mit den fatal herrschsüchtigen Vorsilben ausgerüsteten Komposita be– oder misshandeln bekommen mit einem Mal eine transitive Bedeutung. Das ist die Spur, die dieses Wort in seiner Bedeutungsgeschichte gezogen hat.[5] [5]Aus verschiedenen Gründen heben sich die Worte „Sonderbehandlung“ und „Endlösung“ – vielleicht die schlimmsten Wortschöpfungen der Nazis – aus dem deutschen Sprachkorpus ab. Dabei ist es ganz klar, dass diese beschönigenden Begriffe nichts anderes bedeuten als – Vernichtung. „Endlösung“ war die Bezeichnung für die Vernichtung eines ganzen Volkes, die Ermordung des Einzelmenschen war die „Sonderbehandlung“. [Auszug aus dem Zitat oben]

Biologistische Sprachmuster waren für die NS-Sprache immanent, [stets verdeckt enthalten]. Absoluter Tiefpunkt der sprachlichen Entwürdigung von Menschen waren auf Juden und slawische Volksgruppen gemünzte Begriffe wie „Parasiten“, „Untermensch“, auch „Minderrassige“.

Auch Generationen nach der NS-Zeit sind wir Geiseln der nationalsozialistischen Sprache. Ein neues Buch zeigt, welche Wörter die Nazis erfanden, um aus Propaganda grausame Realität zu machen.

Die Nationalsozialisten, so analysiert Schlosser, hatten „ihre“ Sprache zu einer „offiziellen Staatssprache“ mit allmächtiger Bedeutung transformiert und bereits vorhandene Sprachmuster mit ideologisch und politisch gewünschten Bedeutungen aufgeladen und keine Abweichungen zugelassen. Eine noch so geschickt manipulierte Sprache hätte nie und nimmer so viel Macht über Menschen gewinnen können, wenn die Deutschen nicht auch empfänglich gewesen wären, eine bestimmte Richtung des Denkens und Fühlens einzuschlagen.

Selbst zivile Sachverhalte wie die Steigerung der Geburtenzahl, die Arbeitsbeschaffung oder der Ersatz für die zerschlagenen Gewerkschaften wurden verbal militarisiert als „Geburtenschlacht“, „Arbeitsschlacht“ und „Arbeitsfront“. Doch auch eine Bezeichnung wie „Kriegsweihnachten“ war nichts als der Versuch, einer unübersehbaren Bedrohungslage den Anschein von Normalität zu verleihen. . .

Ein anderes, neueres Buch zeigt, welche Wörter die Nazis[6] [6]Victor Klemperer, 1882 – 1960, Publizist, Germanist, Professor in Dresden und ab 1955 Mitglied der Volkskammer der DDR; Hadwig Klemperer, geb. Kirchner, 1926 – 2010, Germanistin und Romanistin (Humboldt-Uni), erwirkte nach Victor K.‘ Tod die Veröffentlichung seiner „Tagebücher“ im Aufbau-Verlag der DDR erfanden, um aus Propaganda grausame Realität zu machen.

Nr. 2:  Fast gleichzeitig waren 1945/46 Viktor Klemperers „LTI. Die unbewältigte Sprache“ in Ost- und Sternbergers/Storz’/Süskinds „Wörterbuch des Unmenschen“ in Westdeutschland als fundamentale Sprachkritiken über die Sprache des Nationalsozialismus erschienen, beides sind Standardwerke. Klemperer:

Die von den Nationalsozialisten gebetsmühlenartig vorgebrachten Schlag- und Schlüsselwörter verfehlten nicht ihre Wirkung, selbst bei Menschen nicht, die gegenüber der NS-Ideologie immun schienen: „Worte können sein wie winzige Arsendosen; sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“ So Klemperer. Die Wirkung dieses „Giftes“, verabreicht als semantische Strategie, senkte bei allzu vielen die Hemmschwelle vor eigenen Unrechtstaten und schlimmen Verbrechen.

Von 1947 bis 1960 war Klemperer an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und zuletzt an der Humboldt-Universität zu Berlin tätig. – Victor Klemperer starb am 11. Februar 1960 im Alter von 78 Jahren. Hadwig Klemperer starb 2010 in Dresden.

Es dauerte nach dem Zusammenbruch des Regimes noch eine ganze Weile, bis sich die Deutschen von den eingefahrenen Denkbildern und Sprachmustern lösen konnten. Auch Generationen nach Ende der NS-Zeit sind wir Geiseln des nationalsozialistischen Sprachgebrauchs. Kristallnacht, auch: Reichskristallnacht, Judenrat, Selektion, Aktion, Arisierung, Umsiedlung, Schutzhaft, Drittes Reich. Und all die anderen Begriffe, die nicht „totzukriegen“ sind.

Ganz zweifellos haben die Nationalsozialisten in ihrer Menschenverachtung die deutsche Sprache diskreditiert, und es verbietet sich nachgerade, bestimmte kontaminierte [verschmutzende] Begriffe nach 1945 unbefangen zu benutzen. Obgleich der Mensch die Sprache nicht geschaffen habe, so Dolf Sternberger, hat er doch seine jeweilige Sprache zu verantworten.

In seinem Fazit zieht Schlosser einen verwegenen Vergleich, indem er auf den offiziellen Sprachgebrauch in der DDR verweist, der die Unterdrückung durch Tabuisierung, Verschleierungen und Beschönigungen der ostdeutschen Bevölkerung erträglich zu machen versuchte habe. Im anderen Teil Deutschlands sei an die Stelle der „quasi transzendentalen Orientierung“ an der „Rasse“ nunmehr die an der Arbeiterklasse getreten. – „Begriffe, die nicht totzukriegen sind“, meint Schlosser.

Aufs Ganze gesehen erscheint Schlosser der Austausch von „Nationalsozialismus“ durchAntifaschismuswie ein „Etikettenwechsel“, zumal die „sprachlosen“ Unterdrückungsmaßnahmen der „Herrschaftsclique“ der DDR „kein Deut besser“ gewesen seien als die des NS-Regimes. Hier schießt Schlosser freilich über das Ziel hinaus. Bei allen praktizierten Unterdrückungsmaßnahmen, die im realexistierenden DDR-Sozialismus an der Tagesordnung waren, verbietet sich angesichts der Singularität der NS-Verbrechen jedweder Vergleich mit dem Nationalsozialismus. – (Zitatende)

Darum füge ich den eben zitierten Ausführungen noch einen Kommentar hinzu[7] [7]Von 1991 an, ein Jahr nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten, habe ich zehn Jahre als Leiter eines Staatl. Studienseminars in Sachsen-Anhalt gearbeitet (gem. der lt. Einigungsvertrag neu installierten Referendar-Ausbildung in den „neuen Bundesländern“). An die auffällig zahlreichen Irritationen aufgrund sprachlicher Fehldeutungen – auf beiden Seiten: Bürger der ehemaligen DDR und Bundesbürger – kann ich mich gut erinnern. Die harmlosen Idiome haben mich sogar an meine Kinderjahre in Pommern erinnert: dreiviertel sechs (Ost) statt Viertel vor sechs (West); den militärischen Unterton in vielen ganz alltäglichen Ankündigungen oder Informationen, die ich auch in der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit kennengelernt hatte, der aber inzwischen weniger häufig auffiel, klingt mir aus den frühen 90er Jahren in Sachsen-Anhalt aber noch in den Ohren: Ein Klick bei Wikipedia genügt, die oben angesprochene Veränderung der Umgangssprache wieder wachzurufen: mehr als 270 Wörter – es handelt fast ausschließlich um Nomen[8] [8]Einige Verben sind mir aufgefallen: abarbeiten, abkindern; – völlig neu waren mir z. B. Bezeichnungen wie Haus der Kultur, Haus des Lehrers, Kasse des Vertrauens, die ebenfalls auf der russisch-diktatorischen Lexik basieren. Je häufiger Nomen eine Sprache beherrschen, desto bestimmender, unpersönlicher und autoritärer wird deren Aussage – sind im Duden von 1980 nicht enthalten oder als ‚aus dem Russischen abgeleitet‘ angeführt[9] [9]Ich meine hier jedoch nicht die verzerrende Sprache der Verbrecherwelt, die in der russischen wie in der kriminellen italienischen oder französischen ‚Unterwelt‘, auch bei uns in entsprechenden ‚Kreisen‘ üblich ist. Vielmehr spreche ich von der ‚Umgangssprache‘ einem bestimmten [hier: deutschen] Milieu bzw. in Teilen der unteren Gesellschaftsschicht bilden kann, wenn mehrere soziale Teilbereiche zusammentreffen: Herkunft, Bildungsanspruch, Kulturverständnis, Neigung zur Ghettoisierung … . Der Grund? –

Ich zitiere sinngemäß aus Wikipedia: In der DDR wurden Wörter aus dem deutschen Sprachraum oft erst dadurch typisch, indem sie zu neuen Formen verbunden wurden und eine neue Bedeutung erhielten wie etwa Volk und Buchhandlung zu Volksbuchhandlung, Jugend und Leben zu Jugendleben, oder Held und Arbeit zu Held der Arbeit. Dabei waren die neuen Formen oft Übersetzungen aus dem Russischen. Beispiele dafür sind stennaja gaseta übersetzt zu Wandzeitung oder dom kultury übersetzt zu Haus der Kultur. Ein bekanntes Beispiel für die Übernahme aus dem Russischen war auch die massenpolitische Arbeit, die statt der politischen Massenarbeit gesetzt wurde, da im Russischen Wortzusammensetzungen eher durch adjektivische Zusätze gebildet werden. – Die (entsprechende)/folgende Liste, die sich als alphabetische Sammlung versteht, enthält gemischte Begriffe, die noch weiter unterschieden werden können.

  • Begriffe, die benutzt wurden, um bestehende Sachverhalte zu bezeichnen, ohne diese auf- oder abzuwerten. Beispiele: Broiler, Kaufhalle, Wandzeitung, sozialpolitische Maßnahmen, Babyjahr, Ehekredit.
  • Begriffe, deren Gebrauch Linientreue oder eine kommunikative Zwangssituation kennzeichneten. Beispiele: Genosse, Klassenfeind, unser (sollte das Volkseigentum und die Gemeinsamkeit betonen wie in „unsere Deutsche Demokratische Republik“). –

Nr. 3:   Das legt eine genau durchdachte Theorie darüber nahe, wie intensiv und zugleich vorsichtig (heimtückisch?) die totalitäre Staatsführung ihren ideologischen Plan verfolgt hatte, über möglichst viele Maßnahmen eine „neue“ Gesellschaft heranzubilden, besonders auch über die Sprache. Ich zitiere aus dem Brief eines Schulleiters von 1954 an einen Vater, dessen Kind der Besuch einer Oberschule (in der ehemaligen DDR) verweigert worden war[10] [10] .. von 1954; der Brief (u.v.a.) liegt mir vor. Fu:

„… Von der Gesellschaft, in der Arbeiter, Bauern, Werktätige, Intelligenz, alle fortschrittlichen Kräfte gemeinsam für den sozialen Fortschritt kämpfen, werden der Schule die Erziehungsziele gestellt. Wir wollen Patrioten erziehen, die ihre Heimat, das Vaterland und das eigene Volk lieben, die sich mit den Werktätigen und ihrer Arbeit, mit der Natur, unserem Volk, seiner Sprache und seiner Geschichte eng verbunden fühlen und der Arbeiterklasse und der Regierung treu ergeben sind. …“ Das, so wurde von dem Schulleiter unterstellt, war das Kind des Adressaten nicht. –

Es folgt dann die Ablehnung des Kindes, das „als Kind eines Akademikers nun zurückstehen müsse, um der neuen Elite Platz zu machen …“. Die Hervorhebung ist von mir beabsichtigt, ich möchte zwar beide hier dargestellten, gezielten und propagandistischen Formen der Sprachmanipulation nicht noch mehr betonen, halte sie aber hinsichtlich des folgenden Posts (Sprechen und Denken) für bedeutsam, – wohl gemerkt: für die Sprache des Hitler-Deutschlands und die Sprache der DDR-Zeit; denn hinter beiden Sprachen standen totalitäre Unrechtssysteme.

In diesem Text sind nicht zufällig beide Phasen der Sprachmanipulation durch politische Macht dokumentiert. Ich wiederhole mich absichtlich: Liegt die erste Phase, der ‚erste Fall‘ immerhin schon zwei bis drei oder vier Generationen zurück, so betrifft die „Sprache der DDR“ doch nahezu alle dort aufgewachsenen Menschen, Frauen, Männer, Kinder; denn es war/ist deren Muttersprache. (s.o.- „Nr. 1“)

Aber auch die letzten massenmedialen Turbulenzen aufgrund einiger  belegter Indizien für eine verbliebene, aber auffallend braune Haltung innerhalb unserer Bundeswehr zeigt mir, dass die o. gen. „Giftwirkung“ noch längst nicht abgeklungen ist. Ich meine nicht nur die Mannschaftsdienstgrade (vornehmlich beim Heer), die ihr Soldat-Sein nicht nur mit korrektem, höflichem und teamfähigem Auftreten verbinden (‚Bürger in Uniform‘ ist mir [und anderen] zu abstrakt), sondern ihre besondere Ausstattung als Träger und Inhaber einer (gewissen) Staatsmacht als willkommenes Mittel zur Hebung des Selbstwertgefühls nutzen, wenn die privaten Kompetenzen fehlen oder nicht genutzt werden. Das Bewusstsein, „Besitzer“ einer Waffe zu sein (und sich in guter Gemeinschaft/Gesellschaft zu befinden), wird durch kollektive Erinnerungen an (längst vergangene) Glanzzeiten einer harten Männerwelt mit entsprechenden glänzenden Attributen und Verhaltensweisen wachgehalten. Das ist bis zu einer gewissen Grenze auch verständlich, kollidiert jedoch mit modernen und demokratischen Umgangsformen in unserer Gesellschaft, dem auch alle Militärs (Frauen und Männer), Polizistinnen und Polizisten, alle  Personen des öffentlichen Dienstes verpflichtet sind. Sie haben sogar einen Eid darauf abgelegt. Kurzum: Nachahmung, Pflege oder gar Verehrung alter, überholter Verhaltensregeln dürfen sich weder im Handeln noch in der Sprache oder in der Redeweise betroffener Personengruppen zeigen. Sie sind zu ahnden. Basta.

Als „alter Zeitzeuge“, wie ich mich oben tituliert habe, bekenne ich auch gern, dass die Unangenehmlichkeiten, die hier thematisiert wurden, inzwischen in Teilen zurückgewichen sind. Bestimmte Berufsgruppen sind aber scheinbar anfällig für sprachliche „Ausrutscher“. Und hier – das sage ich ganz deutlich – sind vorgesetzte Personen verantwortlich zu machen. Vielleicht wird es ja besser, wenn die Frauenquote erhöht wird. (Aber wie?)

 

 

Anmerkungen

[1]  Die Älteren unter Ihnen haben die Diskussion um das Militärische in der Sprache der Sportberichterstattung noch in Erinnerung. Vielleicht kam die Kritik an der Häufung von Wörtern und Idiomen (festen Redewendungen) sogar aus den Kreisen der Sportwelt: Bis auf einige inzwischen dauerhaft übernommene Begriffe (Sturm, Angriff, Flanke u. ä.) sind die wirklich aggressiven, kriegerischen Redewendungen im Deutschen deutlich seltener geworden als im Englischen

[2] Off-Ton ist ein Begriff aus der Filmtechnik: Neben dem sichtbaren Ablauf der Filmhandlung wird „von außen“/aus dem Off  ein Text (dazu)gesprochen,- von einer Person, die („im Bild“) gar nicht zu sehen ist, z.B.: von einer Reporterin oder – wie hier – von einem „Sprecher“

[3] Wim Wenders (* 14. August 1945 als Wilhelm Ernst Wenders in Düsseldorf) ist ein deutscher Regisseur und Fotograf. Zusammen mit anderen Autorenfilmern des Neuen Deutschen Films gründete er 1971 den Filmverlag der Autoren. Von 2003 bis 2017 war er Professor für Film an der Hochschule für bildende Künste Hamburg [Ein Autorenfilm ist der künstlerische, frei erfundene Film eines ‚Filmemachers‘, ein Kunstwerk wie eine Komposition, ein Gedicht, ein Bildwerk oder ein Theaterstück]

[4] Nazis: Schimpfwort für Nationalsozialisten (Sozis: ab ca. 1920 – Schimpfwort für Sozialisten; heute: Schimpfwort für Sozialdemokraten

[5] Aus verschiedenen Gründen heben sich die Worte „Sonderbehandlung“ und „Endlösung“ – vielleicht die schlimmsten Wortschöpfungen der Nazis – aus dem deutschen Sprachkorpus ab. Dabei ist es ganz klar, dass diese beschönigenden Begriffe nichts anderes bedeuten als – Vernichtung. „Endlösung“ war die Bezeichnung für die Vernichtung eines ganzen Volkes, die Ermordung des Einzelmenschen war die „Sonderbehandlung“. (Auszug aus dem Zitat oben)

[6] Victor Klemperer, 1882 – 1960, Publizist, Germanist, Professor in Dresden und ab 1955 Mitglied der Volkskammer der DDR; Hadwig Klemperer, geb. Kirchner, 1926 – 2010, Germanistin und Romanistin (Humboldt-Uni), erwirkte nach Victor K.‘ Tod die Veröffentlichung seiner „Tagebücher“ im Aufbau-Verlag der DDR

[7]  Im Jahr 1991, ein Jahr nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten, habe ich als Leiter eines Staatl. Studienseminars in Sachsen-Anhalt gearbeitet (gem. der lt. Einigungsvertrag neu installierten Referendar-Ausbildung in den „neuen Bundesländern“). An die auffällig zahlreichen Irritationen aufgrund sprachlicher Fehldeutungen – auf beiden Seiten: Bürger der ehemaligen DDR und Bundesbürger – kann ich mich gut erinnern. Die harmlosen Idiome haben mich sogar an meine Kinderjahre in Pommern erinnert: dreiviertel sechs (Ost) statt Viertel vor sechs (West); den militärischen Unterton in vielen ganz alltäglichen Ankündigungen oder Informationen, die ich auch in der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit kennengelernt hatte, der aber inzwischen weniger häufig auffiel, klingt mir aus den frühen 90er Jahren in Sachsen-Anhalt aber noch in den Ohren.

[8]  Einige Verben sind mir aufgefallen: abarbeiten, abkindern; – völlig neu waren mir z. B. Bezeichnungen wie Haus der Kultur, Haus des Lehrers, Kasse des Vertrauens, die ebenfalls auf der russisch-diktatorischen Lexik basieren. Je häufiger Nomen eine Sprache beherrschen, desto bestimmender, unpersönlicher und autoritärer wird deren Aussage.

[9]  Ich meine hier jedoch nicht die verzerrende Sprache der Verbrecherwelt, die in der russischen wie in der kriminellen italienischen oder französischen ‚Unterwelt‘, auch bei uns in entsprechenden ‚Kreisen‘ üblich ist. Vielmehr spreche ich von der ‚Umgangssprache‘ einem bestimmten [hier: deutschen] Milieu bzw. in Teilen der unteren Gesellschaftsschicht bilden kann, wenn mehrere soziale Teilbereiche zusammentreffen: Herkunft, Bildungsanspruch, Kulturverständnis, Neigung zur Ghettoisierung …

[10]  .. von 1954; der Brief (u.v.a.) liegt mir vor. Fu

Anmerkungen   [ + ]

1. Die Älteren unter Ihnen haben die Diskussion um das Militärische in der Sprache der Sportberichterstattung noch in Erinnerung. Vielleicht kam die Kritik an der Häufung von Wörtern und Idiomen (festen Redewendungen) sogar aus den Kreisen der Sportwelt: Bis auf einige inzwischen dauerhaft übernommene Begriffe (Sturm, Angriff, Flanke u. ä.) sind die wirklich aggressiven, kriegerischen Redewendungen im Deutschen deutlich seltener geworden als im Englischen
2. Off-Ton ist ein Begriff aus der Filmtechnik: Neben dem sichtbaren Ablauf der Filmhandlung wird „von außen“/aus dem Off  ein Text (dazu)gesprochen,- von einer Person, die („im Bild“) gar nicht zu sehen ist, z.B.: von einer Reporterin oder – wie hier – von einem „Sprecher“
3. Wim Wenders (* 14. August 1945 als Wilhelm Ernst Wenders in Düsseldorf) ist ein deutscher Regisseur und Fotograf. Zusammen mit anderen Autorenfilmern des Neuen Deutschen Films gründete er 1971 den Filmverlag der Autoren. Von 2003 bis 2017 war er Professor für Film an der Hochschule für bildende Künste Hamburg [Ein Autorenfilm ist der künstlerische, frei erfundene Film eines ‚Filmemachers‘, ein Kunstwerk wie eine Komposition, ein Gedicht, ein Bildwerk oder ein Theaterstück]
4. Nazis: ein Kurz- und Schimpfwort für Nationalsozialisten (Sozis: ab ca. 1920 – Schimpfwort für Sozialisten; heute auch: Schimpfwort für Sozialdemokraten
5. Aus verschiedenen Gründen heben sich die Worte „Sonderbehandlung“ und „Endlösung“ – vielleicht die schlimmsten Wortschöpfungen der Nazis – aus dem deutschen Sprachkorpus ab. Dabei ist es ganz klar, dass diese beschönigenden Begriffe nichts anderes bedeuten als – Vernichtung. „Endlösung“ war die Bezeichnung für die Vernichtung eines ganzen Volkes, die Ermordung des Einzelmenschen war die „Sonderbehandlung“. [Auszug aus dem Zitat oben]
6. Victor Klemperer, 1882 – 1960, Publizist, Germanist, Professor in Dresden und ab 1955 Mitglied der Volkskammer der DDR; Hadwig Klemperer, geb. Kirchner, 1926 – 2010, Germanistin und Romanistin (Humboldt-Uni), erwirkte nach Victor K.‘ Tod die Veröffentlichung seiner „Tagebücher“ im Aufbau-Verlag der DDR
7. Von 1991 an, ein Jahr nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten, habe ich zehn Jahre als Leiter eines Staatl. Studienseminars in Sachsen-Anhalt gearbeitet (gem. der lt. Einigungsvertrag neu installierten Referendar-Ausbildung in den „neuen Bundesländern“). An die auffällig zahlreichen Irritationen aufgrund sprachlicher Fehldeutungen – auf beiden Seiten: Bürger der ehemaligen DDR und Bundesbürger – kann ich mich gut erinnern. Die harmlosen Idiome haben mich sogar an meine Kinderjahre in Pommern erinnert: dreiviertel sechs (Ost) statt Viertel vor sechs (West); den militärischen Unterton in vielen ganz alltäglichen Ankündigungen oder Informationen, die ich auch in der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit kennengelernt hatte, der aber inzwischen weniger häufig auffiel, klingt mir aus den frühen 90er Jahren in Sachsen-Anhalt aber noch in den Ohren
8. Einige Verben sind mir aufgefallen: abarbeiten, abkindern; – völlig neu waren mir z. B. Bezeichnungen wie Haus der Kultur, Haus des Lehrers, Kasse des Vertrauens, die ebenfalls auf der russisch-diktatorischen Lexik basieren. Je häufiger Nomen eine Sprache beherrschen, desto bestimmender, unpersönlicher und autoritärer wird deren Aussage
9. Ich meine hier jedoch nicht die verzerrende Sprache der Verbrecherwelt, die in der russischen wie in der kriminellen italienischen oder französischen ‚Unterwelt‘, auch bei uns in entsprechenden ‚Kreisen‘ üblich ist. Vielmehr spreche ich von der ‚Umgangssprache‘ einem bestimmten [hier: deutschen] Milieu bzw. in Teilen der unteren Gesellschaftsschicht bilden kann, wenn mehrere soziale Teilbereiche zusammentreffen: Herkunft, Bildungsanspruch, Kulturverständnis, Neigung zur Ghettoisierung … 
10. .. von 1954; der Brief (u.v.a.) liegt mir vor. Fu

Ein Gedanke zu „23:  Sprache und Politik am  Beispiel der Deutschen Sprache“

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