19: Deutsch im 19. Jahrhundert

 

Eisenwalzwerk, Ölgemälde von Adolph von Menzel, 1875

Adolph von Menzel – pgFVPI1J1YGXZA at Google Cultural Institute, zoom level maximum

Adolph von Menzel (* 8. Dezember 1815, † 9. Februar 1905 in Berlin), geadelt 1898, war Maler, Zeichner und Illustrator. Er gilt als der bedeutendste deutsche Realist des 19. Jahrhunderts. Sein Werk ist außerordentlich vielfältig; bekannt und zu Lebzeiten hoch geehrt wurde er vor allem wegen seiner historisierenden Darstellungen aus dem Leben Friedrichs des Großen.

Sprachgeschichte, Teil 5

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Post 19: Deutsch im  19. Jahrhundert

Der Vormärz: Deutschland lernt das Schriftdeutsch

Das 19. Jahrhundert begann (auch für unser Thema ‚Deutsche Sprache‘) mit der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im Jahr 1806. – Von da an verlagerte sich das politische Gewicht innerhalb Deutschlands nach Norden. Brandenburg-Preußen wurde zur Vormacht im „kleindeutschen“ Verband der (verbliebenen) Länder.

Dadurch verlor Luthers weithin verbreitete mitteldeutsche (sächsische) Kanzleisprache ihre normierende Kraft. Der Anspruch, das „reinste Hochdeutsch“ zu sprechen, ging auf die ehemals niederdeutschen Gebiete über, die ich von hier an die norddeutschen Länder nenne. Deren eigene „Mundart“ – das Plattdeutsche – war weiter vom Schriftdeutschen entfernt gewesen als die ober- und mitteldeutschen Dialekte, aus denen der hochdeutsche Standard ja hervorgegangen war. Die Niederdeutschen (Norddeutschen) hatten das „Buchdeutsch“ quasi wie eine Fremdsprache schulmäßig lernen müssen[2] [2]Diese befremdliche, zumindest gewagte Aussage kann ich aus eigenem Erleben bestätigen: Als ‚Flüchtling‘ aus dem Preußischen Osten – 1945 bis 2010 offizielle Bezeichnung meines Status, ab 1965 in ‚Vertriebener‘ gemäßigt – bin ich in einer „rein“ bäuerlichen Gesellschaft aufgewachsen, in der die Umgangssprache ausschließlich „Oldenburger Platt“ war. Besonders die Kinder hatten dort vor ihrem 6. oder 7. Lebensjahr kaum eine Berührung mit der hochdeutschen Sprache gehabt, sie lernten hochdeutsch erst allmählich (schriftlich und mündlich!) in ihrer Schulzeit; die Erwachsenen hatten durch Rundfunk-Sendungen und weitere ‚Kommunikationskreise‘ zwar größere Erfahrungen mit Hochdeutsch, pflegten jedoch in den Dörfern/unter sich und erst recht in ihren Familien nachdrücklich ihr Plattdeutsch [Süd-Oldenburger Platt]. Daraus folgte bis in die Gegenwart, dass sie fast ganz ohne mundartliche Einsprengsel Deutsch sprechen, während man alemannischen, sächsischen oder bayerischen Sprechern trotz deren Bemühens beim mündliche Gebrauch der Schriftsprache oft ihre regionale Herkunft immer anhört.[3] [3][Landes-Slogan Baden-Württembergs: „Wir können alles außer Hochdeutsch“] – Mit Recht wird gesagt, dass die in Niedersachsen gesprochene Sprache heute das repräsentiert, was wir eine hochdeutsche Standardsprache nennen, wie sie auch in den 1898 getroffenen Ausspracheregeln für das hochdeutsche Theater und in Österreich und der Schweiz anerkannt werden. -

Abb. 103 Der Deutsche Bund

Der Deutsche Bund, ein 1815[4] [4]Im Deutschen Bund waren alle Königreiche des „alten Reiches“ vereinigt: Preußen, Hannover, Sachsen, Bayern, Holstein, Mecklenburg, Oldenburg, Hessen, Baden, Württemberg, Dänemark, die Niederlande und das Kaiserreich Österreich geschlossenes Bündnis von neunzehn staatlichen Zollgebieten, löste sich schon nach 50 Jahren wieder auf.[5] [5]Laut Präambel (Vorwort) der Bundesakte hatten sich die Fürsten zu einem „beständigen Bund“ vereint, der Bund hatte lediglich die Aufgabe, die innere und äußere Sicherheit der Gliedstaaten zu gewährleisten Die Bundesakte, ein Ergebnis des Wiener Kongresses war kaum mehr als ein Sicherheitsbündnis gegen andere europäische Staaten , darum hatten sich auch Preußen, Österreich, Dänemark und die Niederlande angeschlossen, wobei sie lediglich für „ihre“ Landgebiete im deutschsprachigen Reich standen (siehe Karte rechts). 1817 wurde das erste Wartburgfest veranstaltet. Dort fanden sich Politiker und Studenten, die (von Anfang an) vorhatten, einen Bundesstaat – und kein „Staaten“-Bündnis  – anzustreben. Es kam also in der Folge zu den zahlreichen ‚kleinen‘ Revolutionen und Aufständen, ohne weitreichende Folgen (außer vielleicht, dass erste europäische Einigungsgedanken in mitteleuropäischen Staatsgebilden auftauchten …).

Nach der Niederlage Napoleons I.  stellten sich wieder die alten, monarchischen Herrschaftsverhältnisse ein. Dagegen formierte sich jedoch während der „Märzrevolution“, 1848 (und 1849), bürgerlicher, vor allem auch studentischer Widerstand, der eine demokratische Grundordnung in einem vereinten Bundesstaat durchsetzen wollte. 1848 war europaweit ein Jahr bürgerlich-revolutionärer Erhebungen gegen die Restauration und deren politische und soziale Strukturen. Angefacht von der französischen Februarrevolution, griff die revolutionäre Stimmung auf die Staaten des Deutschen Bundes und weitere Reiche über.[6] [6]Restauration (Wiederherstellung ‚des Alten‘) wird diese als gute alte (und vor allem: romantische) Zeit genannt. Aber sie entwickelte sich zur Geburtsstunde demokratischen Handelns

Abb. 104: Hambacher Fest – Burschenschaftsgeschichte.de

Wartburgfest ist der Name mehrerer, zumeist studentischer Versammlungen, die alljährlich jeweils auf der Wartburg bei Eisenach in Thüringen stattfanden (in Luthers früherer Zuflucht). Am bekanntesten ist das erste Wartburgfest von 1817: Anlässlich des 300. Jahrestages des Beginns der Reformation und des 4. Jahrestages der Völkerschlacht bei Leipzig trafen sich Studenten beinahe aller evangelischen deutschen Universitäten am 18. Oktober 1817 auf der Wartburg.[7] [7]Die Völkerschlacht bei Leipzig vom 16. bis 19. Oktober 1813 war die Entscheidungsschlacht der Befreiungskriege („Befreiung“ von Napoleon). Dabei kämpften die Truppen der Verbündeten Russland, Preußen, Österreich und Schweden gegen die Truppen Napoleon Bonapartes – Die Versuche der deutschen ‚Bürger‘, einen demokratischen Staat zu errichten, kamen jedoch nur stockend voran. Dennoch waren die Jahre des Vormärz gesellschaftlich-kulturell und auch – die Deutsche Hochsprache betreffend – eine bewegte Zeit:

Was oben über die Bereicherung des Wortschatzes bereits im 17. Jahrhundert gesagt war, hatte sich im 18. Jahrhundert noch einmal deutlich verstärkt. Der Historiker Ulrich Wehler[8] [8]H. U. Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte / Von 1700 – 1990 (5 Bde.), München, Bd. 2, S. 504 ff kritisierte jedoch die schleppende Entwicklung der Universitäten in dieser Zeit, die dem Bedarf nach Bildung vonseiten einer ständig anwachsenden Leserschaft deutlich entgegen stand. So blieb die bestimmende gesellschaftliche Haltung dem Zeitgeist des Biedermeier verhaftet[9] [9]Biedermeier: ironischer Name für diese Epoche – vom Ende des Wiener Kongresses 1815 bis zur bürgerlichen Revolution 1848 in den Ländern des Deutschen Bundes – der auch für die Malerei und die Innenarchitektur galt: Zeichen einer rückwärts gerichteten, auf Beschaulichkeit und Ordnung bedachten Zeit, die eine romantisch verklärende Literatur feierte: Roman, Novelle und Poesie – häufig aus der Sicht eines ‚Poeten aus seinem Elfenbeinturm‘, waren die Stoffe der Belletristik [der Unterhaltungs-Literatur]; doch immerhin zeichnete sich dieses (äußerlich) beschauliche Gesellschaftsbild durch eine stetig anwachsende Leselust aus: Nicht nur, dass großes Interesse an den sich schnell verbreitenden Reiseberichten und Naturschilderungen bestand, auch Fachliteratur für den bürgerlichen und ländlichen Haushalt wurde gern erworben, so dass sich sogar erste entstehende journalistische Berufsbilder zeigten. – Dagegen war die Gruppe der Dichter und Schriftsteller, die zum Jungen Deutschland gehörten,  die eher die  Wartburgfeste und eine  realistische Weltsicht vorzogen, also die Gruppe der ‚Rebellen‘ gegen den romantischen Trend, relativ überschaubar.[10] [10]Jungdeutsche Autoren waren neben Heinrich Heine mit dem Lyrikband Buch der Lieder. Der wohl bedeutendste Text seiner Reisebericht-Sammlung war Die Harzreise (1826), die nach Heines Wanderung durch den Harz im Sommer 1824 entstand. Als Dramatiker trat Christian Dietrich Grabbe hervor. In seinem bekanntestem Werk, Napoleon oder Die hundert Tage, das 1831 erschien, legte Grabbe wichtige Grundsteine für die Entwicklung des epischen Dramas. Der heute sehr geschätzte Georg Büchner wurde von seinen Zeitgenossen kaum beachtet. 1835 erschien das erste soziale Drama der deutschen Literatur, Dantons Tod; Karl Georg Büchner, 1813 – 1837, Mediziner und Revolutionär – sein Drama Woyzeck, wurde erst 1902 uraufgeführt Auch Schulen und Hochschulen, wie wir sie heute in der Bundesrepublik Deutschland kennen, entwickelten sich erst (allmählich) durch die Verbreitung des Buchdrucks und die Entstehung von Nationalstaaten im Europa des 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Weil Deutschland bis zur Reichsgründung (1870) aus vielen Einzelstaaten bestand, war diese Entwicklung aus zwei Gründen sehr uneinheitlich;[11] [11]Schulpolitik blieb auch nach der Reichsgründung Ländersache wie auch in der Weimarer Republik und in der Bundesrepublik Deutschland. So blieben die föderalen Strukturen bis heute erhalten – und mit ihnen deutliche konfessionelle Landesschwerpunkte, die sich erst in der 2. Hälfte des 20 Jahrhunderts auflösten: Katholiken besonders im Süden, Protestanten im (preußischen) Norden Deutschlands denn zum Einen sank die Rate der Analphabeten zwischen 1815 und 1848 allein in Preußen von knapp 60 % auf 20 % der Bevölkerung.[12] [12]Wehler  (s.o.) hat Statistiken militärischer Erfassungsbehörden verglichen und festgestellt, dass in England, Frankreich und Österreich um 1850 noch 40 % bis 45 % aller jungen Männer Analphabeten waren; – Wehler dazu: „Wegen der konfessionsgeschichtlichen … Tradition verwundert es nicht, dass bei dieser Ausbreitung einer grundlegenden Kulturtechnik die protestantischen Regionen und Staaten weit vorn .. lagen,…. Neben den Erziehungsimpulsen der Aufklärung spielte der protestantische Imperativ, zumindest die Heilige Schrift lesen zu können, spielte die spezifisch evangelische Schriftkultur noch immer eine ausschlaggebende Rolle“ [ebd. S. 521] Und hier stellte der Historiker (Wehler) ausdrücklich fest, dass diese Steigerung der Volksbildungsrate deutlich vor der industriellen Revolution eingetreten war, der rapide Anstieg der Schwerindustrie (Beitragsbild!)  also nicht so hinderlich gewirkt hatte, wie (gern) behauptet wird. Wehler: „Die relativ früh durchgesetzte elementare Beherrschung von Lesen, Schreiben und Rechnen tat mehr für die Modernisierung der Wirtschaft als umgekehrt;“ zum Andern ist der Lesebedarf in der Bevölkerung auch abhängig von der generalisierten Konfession der Bundestaaten bzw. (nach 1871) der Bundesländer des Deutschen Reiches. –

Bleibt ein Blick auf die faktische Verbreitung der Leselust:

1. Die mit dem Druck auch belletristischer Texte stetig steigende Beliebtheit von (privaten) Lesekreisen in Städtischen Gesellschaften (= Unterhaltungs-Literatur) ließ mit dem Anstieg von Buchhandlungen und kommerziellen Leihbibliotheken in Deutschland nach; im Vormärz hatten sich schon zwischen 1500 und 2000 dieser Geschäfte etabliert, in den großen Metropolen waren es über 100, in München nur 44 und in Wien 2; außerdem entstanden Journal-Leseinstitute,  bis heute als  Lesezirkel  bekannte Verleihfirmen von Periodika (regelmäßig erscheinende illustrierte Zeitschriften).

Abb. 105: Brockhaus Enzyklopädie

2. Eine Aufstellung des Lesestoffes erfasst alle Kategorien und literarischen Gattungen, die bis heute noch aktuell sind: Verbreitung von Presse-Erzeugnissen aller Art (also Zeitungen und Zeitschriften), Kalender, Volksbücher, Groschenhefte und andere Schriften, aber natürlich auch alle Romane (einzeln oder als Gesamtausgaben), Wörterbücher und Lexika (1808 gab F. A. Brockhaus sein erstes Conservations-Lexicon heraus, 2014 wurde dieses Standardwerks mit seiner 21. Auflage – ‚Brockhaus Enzyklopädie in 30 Bänden‘ – eingestellt[13].

3. Die Arbeiter-Bildungsvereine des 19. Jahrhunderts und die vorzüglich ausgestatteten öffentlichen Bibliotheken damals und heute sind beste Belege für das ausgeprägte Leseverhalten der Deutschen. –

Abb. 106: Die erste Deutsche Nationalversammlung tagt in der Frankfurter Paulskirche …

Die Revolution auf Berlins Straßen 1848 wurde niedergeschlagen, …

 

… und die Erste Deutsche Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche scheiterte an den anhaltenden Widerständen des Österreichischen Kaiserreichs und des Preußischen Königreiches, und erst nach dem Deutschen Krieg 1866 und dem Deutsch-französischen Krieg 1870/71[14] [13]Preußen [mit dem Deutschen Bund und mit Österreich] gegen Frankreich (Kapitulation Frankreichs, Verhaftung Napoleons III., Frankreich wurde eine Republik wurde eine politische Neuordnung der Staaten Europas erzielt – außer für Nordamerika[15]. [14]In England regierte von 1714 bis 1901 „das Haus Hannover“; in Frankreich übernahm nach den blutigen Revolutionen der selbsterwählte Kaiser Napoleon die Macht; 1776 befreiten sich 13 nordamerikanische Staaten vom Englischen Königshof [Unabhängigkeitserklärung]

Abb. 107: Wahlaufruf im Kölner Stadt-Anzeiger 1881: „Mitbürger! Wähler der 3. Classe!“

Es wurde ein Dreiklassenwahlrecht eingeführt, damit die Vorherrschaft der Besitzenden  gesichert blieb. Dieses undemokratische Wahlrecht war in Preußen bis 1918 in Kraft[16]. [15]Das Dreiklassen-Wahlrecht, um dessen „gerechte“ Lösung lange gerungen wurde, stellt sich nach unserem heutigen Verständnis als blanker Hohn einer gerechten Wahl dar: Wählen durften nur Männer vom 25. Lebensjahr an, wenn sie weder vorbestraft noch Sozialhilfe-Empfänger noch aktive Soldaten waren. Das Land war in 180 Wahlbezirke(-Kreise) aufgeteilt. In jedem Kreis wurden die  Wähler in drei Klassen (Abteilungen) eingeteilt: Zur 1. Abt. gehörten nur die Wähler, die (zusammen) ein Drittel aller gezahlten Steuern (in diesem Wahlbezirk) bezahlt hatten; für die 2. Abt. waren dann alle Wähler zugelassen, die (zusammengerechnet) das 2. Drittel dieses Steueraufkommens gezahlt hatten; die übrigen Wähler gehörten der 3. Abt. an. – Jede Abteilung entschied somit über 16 Wahlmänner entschieden, die die (eigentlichen!) Abgeordnetenwahlen bestritten [wie noch heute in den USA]. Konkret – aus der Summe der Steuern errechnet – bestimmten über „ihre“ 16 Wahlmänner aus der 1. Abt. 4% der wahlberechtigten Männer – das waren immer sehr wenige (mitunter nur 1 bis 3 Wähler mit sehr hohen Steuerzahlungen, die über 16 Wahlmänner entschieden, aus der 2. Abt. waren es 16% und aus der 3. Abt. sogar 80% aller wahlberechtigten Männer, die ebenfalls „ihre “ 16 Wahlmänner  benennen ‚durften‘, in den Abgeordnetenwahlen waren fortschrittliche Stimmen von vornherein in der Minderheit

Am 18. Januar 1871 wurde im Schloss Versailles das Deutsche Reich gegründet. Der Preußische König Wilhelm I. erhielt den Titel Deutscher Kaiser; er war das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches von 1871 bis 1918.[17] [16]

Das Protokoll der 1. Demokratisierung Deutschlands:

  • Die Februarrevolution 1848 in Frankreich führte in den deutschen Staaten zur Märzrevolution. In Österreich kam es zu Straßenkämpfen.
  • Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. gestattete auf Druck der Bevölkerung die Ausarbeitung einer Verfassung und gestand den Bürgern Versammlungs- und Pressefreiheit zu.
  • Am 28. März 1849 wurde die Verfassung der Frankfurter Paulskirche verabschiedet, sie bildete später eine Grundlage für die Weimarer Verfassung (Post 20) und nach 1945 für das Grundgesetz unserer Bundesrepublik Deutschland. Später wurde ein allgemeines Wahlrecht, nach der Novemberrevolution von 1918 sogar (!) das Frauenwahlrecht vereinbart. –
  • Viele inzwischen gemachte Zugeständnisse wurden auch wieder abgeschafft, aber 1860 entstanden in Deutschland neue Parteien und Gewerkschaften. [1863 gründete Ferdinand Lassalle den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, der sich 1875 mit der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands vereinigte,  der bis heute bestehenden Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD).]

1862 wurde Otto von Bismarck zum Ministerpräsidenten ernannt, was zu einer Stärkung des Preußischen Königs (Wilhelm I.) gegenüber dem Parlament führte. Es kam zu Spannungen und 1870 zum Deutsch-Französischen Krieg. Preußen konnte alle deutschen Staaten und die europäischen Großmächte auf seine Seite ziehen und Frankreich unter Napoleons III. 1871 zur Kapitulation zwingen.

  •  – Damit war die Restauration besiegelt.[18] [17]Bismarck, „der eiserne Kanzler“, bekämpfte hartnäckig fortschrittliche Tendenzen in Richtung einer Sozialdemokratie, versuchte aber auch durch eine gemäßigte Sozialgesetzgebung einer drohenden Radikalisierung der Arbeiter entgegenzuwirken. Grundlage waren die Verfassung des Deutschen Bundes vom 16. April 1871 In der Zeit des Deutschen Kaiserreichs gab es drei Amtsträger: Wilhelm I., Friedrich III. und Wilhelm II. bis Nov. 1918. – 1883: Krankenversicherung, – 1884: Unfallversicherung  –  1889: eine Rentenversicherung

Fazit und elfte Zwischenbemerkung:

Deutschland war im 19. Jahrhundert von liberalen[19] [18]liberal: freiheitlich, selbstverantwortlich; sozialistisch: auf die Vormachtstellung und Eigenverantwortlichkeit der Gesellschaft bedacht (Ferdinand Lassalle), die Steigerung ist kommunistisch (nach Karl Marx), die alle Staatsgüter (Macht und materiellen Besitz jeder Art) als dem “Volk“ gehörend bezeichnet, nationalen und sozialistischen Geisteshaltungen und von der rasanten Entwicklung der Naturwissenschaften, der Technik und der Industrialisierung gekennzeichnet, was zu starkem Wachstum der Großstädte und gleichzeitig zu krasser Verarmung ganzer Gesellschaftsschichten führte. Die prägende kulturelle Haltung des Bürgertums war der Biedermeier, in der Literatur war es die Romantik und in der Bildenden Kunst der beginnende Realismus.  –  Unsere Sprache erlebte einen überwältigenden Anstieg von Fachbegriffen in allen Bereichen des Privatlebens und der Arbeitswelt. Die damit einhergehende Erweiterung der Naturwissenschaften, vor allem auch der Medizin und der Psychologie und der Ausbildung im Handwerk, in der Pädagogik und in der Landschafts- und der Stadtplanung (Architektur) bereicherte nicht nur das Vokabular der Fachwelt, sondern über die (ebenfalls erheblich verbreiterte) Journal- und Fachliteratur auch die wachsenden Kreise der lesenden Bevölkerung.[20] [19]Es gilt eine negative Entwicklung im Arbeitsleben der Gesellschaft  anzumerken: Neben der Schwerindustrie (Kohle- und Erzabbau und  Arbeit in Eisenwerken wie im Beitragsbild dargestellt) hatte  sich eine Verlagsarbeits-Industrie explosionsartig in Deutschland (und England und Frankreich) verbreitet, die mir lange Zeit als „Heimarbeit“ bekannt war, was ein sehr verharmlosender Ausdruck ist. Wie der Buch-Verleger, der seine Produkte, die literarischen Texte, von privaten Autoren (von Schriftstellern) geliefert bekommt und sie dann nach persönlicher Einschätzung für „verkäuflich“ erklärt und dann in einer bestimmten Auflage ‚verlegt‘ – in den Buchhandel bringt, so lässt auch ein Großindustrieller bestimmte Stückwaren in Heimarbeit und von Privatleuten herstellen: Kleinmöbel zusammenbauen, Stoffe für Textilien weben, färben, nähen, Haushaltswaren für Küchen, Wohn- und Schlafgelegenheiten und Vieles mehr von Familien zu Hause anfertigen und bezahlt diese oft mühsame Arbeit mit Hungerlöhnen. – Durch die Verlagsarbeit, bei der oft die Kleinsten der Familien helfen mussten, entwickelte sich die große gesellschaftliche Gruppe der notleidenden Arbeiter, die in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts in allen europäischen Industriegebieten als verarmte Unterschicht der Gesellschaft, als Proletariat zu finden war und den Kampf des Kommunismus gegen die Bourgeoisie (das Bürgertum) entfachte.

Mit dem Abschluss des 19. Jahrhunderts unserer Kultur- und Sprachgeschichte ist mir diese letzte Zwischenbemerkung zu dem letzten und besonders zu den kommenden Abschnitten wichtig: Die differenzierten Ergänzungen meiner Ausführungen zum sprachgeschichtlichen Verlauf des Deutschen – auch in den zahlreichen Fußnoten (!) – scheint mir unverzichtbar.

Wir haben mit dem Lutherdeutsch ein Entwicklungsniveau erreicht, das keine weiteren gravierenden, formalen Veränderungen der Sprache und des Sprechens erwarten lässt; wir finden uns – endlich – in einem geschlossenen nationalen Sprachraum, an dem (auch sprachgeschichtlich) einige unserer engen Nachbarstaaten teilhaben.

Dennoch lebt unsere Sprache (wie alle anderen Muttersprachen); denn schon die „alten Griechen“ kannten die philosophische Lebensformel Panta rhei. Die Gesellschaft verändert sich ständig und mit ihr die Sprache, auch das Hochdeutsch!  Lesen Sie nur das Gedicht Abend aus dem 17. Jahrhundert (Post 18!): ähnliche Probleme mit der Ausdrucks- bzw. der Schreibweise haben auch Texte aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Allerdings erscheinen mir weiterhin alle wesentlichen Ereignisse unserer Geschichte auch Auswirkungen auf die Veränderungen unserer Sprache zuhaben. Und darum werden sich die letzten Kapitel der Geschichte der deutschen Sprache (bis Post 25) gezwungenermaßen mit allen noch folgenden Entwicklungen und Veränderungen befassen.

 

 

Anmerkungen

[1]   Napoleon Bonaparte, geb. 1769 auf Korsika, machte schnell eine militärische Karriere in Paris, beteiligte sich aktiv an der französischen Revolution von 1789 –  Liberté – Egalité – Fraternité  (FREIHEIT – GLEICHHEIT – BRÜDERLICHKEIT bzw. Gechwisterlichkeit), war  inzwischen zum Kaiser der Franzosen gekrönt, er schlug die russisch-österreichischen Truppen bei Austerlitz und die preußische Armee bei Jena und Auerstedt, zwang Spaniens König zur Abdankung, besetzte Holland und die deutsche Nordseeküste. 1812 stand er mit einem Vielvölkerheer vor Moskau, wo seine Armee jedoch fast völlig vernichtet wurde. Ein Jahr später wurde er von Preußen, Russland, Österreich, Großbritannien und Schweden in der Völkerschlacht bei Leipzig endgültig besiegt, kehrte aber 1815 noch einmal auf die europäische Bühne zurück und wurde in der Schlacht bei Waterloo von England (dessen General: „Ich wollt‘ es wäre Nacht oder die Preußen kämen!“) und den Preußen noch einmal vernichtend geschlagen. Napoleon wurde schließlich auf die Insel Helena verbannt und starb dort 1821.

[2]  Diese befremdliche, zumindest gewagte Aussage kann ich aus eigenem Erleben bestätigen: Als ‚Flüchtling‘ aus dem Preußischen Osten – 1945 bis 2010 offizielle Bezeichnung meines Status, ab 1965 in ‚Vertriebener‘ gemäßigt – bin ich in einer „rein“ bäuerlichen Gesellschaft aufgewachsen, in der die Umgangssprache ausschließlich „Oldenburger Platt“ war. Besonders die Kinder hatten vor ihrem 6. oder 7. Lebensjahr keine Berührung mit der hochdeutschen Sprache gehabt, sie lernten hochdeutsch erst allmählich (schriftlich und mündlich!) in ihrer Schulzeit; die Erwachsenen hatten durch Rundfunk-Sendungen und weitere ‚Kommunikationskreise‘ zwar größere Erfahrungen mit Hochdeutsch, pflegten jedoch in den Dörfern/unter sich und erst recht in ihren Familien nachdrücklich ihr Plattdeutsch [Süd-Oldenburger Platt].

[3]  [Landes-Slogan Baden-Württembergs: „Wir können alles außer Hochdeutsch“] – Mit Recht wird gesagt, dass die in Niedersachsen gesprochene Sprache heute das repräsentiert, was wir eine hochdeutsche Standardsprache nennen, wie sie auch in den 1898 getroffenen Ausspracheregeln für das hochdeutsche Theater und in Österreich und der Schweiz anerkannt werden. –

[4]  Im Deutschen Bund waren alle Königreiche des „alten Reiches“ vereinigt: Preußen, Hannover, Sachsen, Bayern, Holstein, Mecklenburg, Oldenburg, Hessen, Baden, Württemberg, Dänemark, der Niederlande und das Kaiserreich Österreich

[5]  Laut Präambel (Vorwort) der Bundesakte hatten sich die Fürsten zu einem „beständigen Bund“ vereint, der Bund hatte lediglich die Aufgabe, die innere und äußere Sicherheit der Gliedstaaten zu gewährleisten

[6] Restauration (Wiederherstellung ‚des Alten‘) wird diese als gute alte (und vor allem: romantische) Zeit genannt. Aber sie entwickelte sich zur Geburtsstunde demokratischen Handelns

[7] Die Völkerschlacht bei Leipzig vom 16. bis 19. Oktober 1813 war die Entscheidungsschlacht der Befreiungskriege (von Napoleon). Dabei kämpften die Truppen der Verbündeten Russland, Preußen, Österreich und Schweden gegen die Truppen Napoleon Bonapartes.

[8] H. U. Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte / Von 1700 – 1990 (5 Bde.), München, Bd. 2, S. 504 ff

[9]  Biedermeier: ironischer Name für diese Epoche – vom Ende des Wiener Kongresses 1815 bis zur bürgerlichen Revolution 1848 in den Ländern des Deutschen Bundes – der auch für die Malerei und die Innenarchitektur galt: Zeichen einer rückwärts gerichteten, auf Beschaulichkeit und Ordnung bedachten Zeit, die eine romantisch verklärende Literatur feierte: Roman, Novelle und Poesie – häufig aus der Sicht eines ‚Poeten aus seinem Elfenbeinturm‘, waren die Stoffe der Belletristik (der Unterhaltungs-Literatur)

[10]  Jungdeutsche Autoren waren neben Heinrich Heine mit dem Lyrikband Buch der Lieder. Der wohl bedeutendste Text seiner Reisebericht-Sammlung war Die Harzreise (1826), die nach Heines Wanderung durch den Harz im Sommer 1824 entstand. Als Dramatiker trat Christian Dietrich Grabbe hervor. In seinem bekanntestem Werk, Napoleon oder Die hundert Tage, das 1831 erschien, legte Grabbe wichtige Grundsteine für die Entwicklung des epischen Dramas. Der heute sehr geschätzte Georg Büchner wurde von seinen Zeitgenossen kaum beachtet. 1835 erschien das erste soziale Drama der deutschen Literatur, Dantons Tod; Karl Georg Büchner, 1813 – 1837, Mediziner und Revolutionär – sein Drama Woyzeck, wurde erst 1902 uraufgeführt

[11] Schulpolitik blieb auch nach der Reichsgründung Ländersache wie auch in der Weimarer Republik und in der Bundesrepublik Deutschland. So blieben die föderalen Strukturen bis heute erhalten – und mit ihnen deutliche konfessionelle Landesschwerpunkte, die sich erst in der 2. Hälfte des 20 Jahrhunderts auflösten: Katholiken besonders im Süden, Protestanten im (preußischen) Norden Deutschlands

[12]  Wehler  (s.o.) hat Statistiken militärischer Erfassungsbehörden verglichen und festgestellt, dass in England, Frankreich und Österreich um 1850 noch 40 % bis 45 % aller jungen Männer Analphabeten waren; – Wehler dazu: „Wegen der konfessionsgeschichtlichen … Tradition verwundert es nicht, dass bei dieser Ausbreitung einer grundlegenden Kulturtechnik die protestantischen Regionen und Staaten weit vorn .. lagen,…. Neben den Erziehungsimpulsen der Aufklärung spielte der protestantische Imperativ, zumindest die Heilige Schrift lesen zu können, spielte die spezifisch evangelische Schriftkultur noch immer eine ausschlaggebende Rolle“ (ebd. S. 521)

[13]  Neben Meyers Konversations-Lexikon (in 15 Bänden) war der Brockhaus das Standardwerk.  – Ich benutze „ihn“ (23 Bde.) noch heute

[14]  .. zwischen Preußen (mit dem Deutschen Bund) und Osterreich und Frankreich (Kapitulation Frankreichs, Verhaftung Napoleons III., Frankreich wurde eine Republik)

[15]  In England regierte von 1714 bis 1901 „das Haus Hannover“; in Frankreich übernahm nach den blutigen Revolutionen der selbsterwählte Kaiser Napoleon die Macht; 1776 befreiten sich 13 nordamerikanische Staaten vom Englischen Königshof [Amerikanische Unabhängigkeitserklärung]

[16]  Das Dreiklassen-Wahlrecht, um dessen „gerechte“ Lösung lange gerungen wurde, stellt sich nach unserem heutigen Verständnis als blanker Hohn einer gerechten Wahl dar: Wählen durften nur Männer vom 25. Lebensjahr an, wenn sie weder vorbestraft noch Sozialhilfe-Empfänger noch aktive Soldaten waren. Das Land war in 180 Wahlbezirke(-Kreise) aufgeteilt. In jedem Kreis wurden die  Wähler in drei Klassen (Abteilungen) eingeteilt: Zur 1. Abt. gehörten nur die Wähler, die (zusammen) ein Drittel aller gezahlten Steuern (in diesem Wahlbezirk) bezahlt hatten; für die 2. Abt. waren dann alle Wähler zugelassen, die (zusammengerechnet) das 2. Drittel dieses Steueraufkommens gezahlt hatten; die übrigen Wähler gehörten der 3. Abt. an. – Jede Abteilung entschied somit über 16 Wahlmänner entschieden, die die (eigentlichen!) Abgeordnetenwahlen bestritten [wie noch heute in den USA]. Konkret – aus der Summe der Steuern errechnet – bestimmten über „ihre“ 16 Wahlmänner aus der 1. Abt. 4% der wahlberechtigten Männer – das waren immer sehr wenige (mitunter nur 1 bis 3 Wähler mit sehr hohen Steuerzahlungen, die über 16 Wahlmänner entschieden, aus der 2. Abt. waren es 16% und aus der 3. Abt. sogar 80% aller wahlberechtigten Männer, die ebenfalls „ihre “ 16 Wahlmänner  benennen ‚durften‘, in den Abgeordnetenwahlen waren fortschrittliche Stimmen von vornherein in der Minderheit.

[17] Das Protokoll der 1. Demokratisierung Deutschlands:

  • Die Februarrevolution 1848 in Frankreich führte in den deutschen Staaten zur Märzrevolution. In Österreich kam es zu Straßenkämpfen.
  • Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. gestattete auf Druck der Bevölkerung die Ausarbeitung einer Verfassung und gestand den Bürgern Versammlungs- und Pressefreiheit zu.
  • Am 28. März 1849 wurde die Verfassung der Frankfurter Paulskirche verabschiedet, sie bildete später eine Grundlage für die Weimarer Verfassung (Post 20) und nach 1945 für das Grundgesetz unserer Bundesrepublik Deutschland. Später wurde ein allgemeines Wahlrecht, nach der Novemberrevolution von 1918 sogar (!) das Frauenwahlrecht vereinbart. –
  • Viele inzwischen gemachte Zugeständnisse wurden auch wieder abgeschafft, aber 1860 entstanden in Deutschland neue Parteien und Gewerkschaften. [1863 gründete Ferdinand Lassalle den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, der sich 1875 mit der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands vereinigte,  der bis heute bestehenden Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD).]
  • 1862 wurde Otto von Bismarck zum Ministerpräsidenten ernannt, was zu einer Stärkung des Preußischen Königs (Wilhelm I.) gegenüber dem Parlament führte. Es kam zu Spannungen und 1870 zum Deutsch-Französischen Krieg. Preußen konnte alle deutschen Staaten und die europäischen Großmächte auf seine Seite ziehen und Frankreich unter Napoleons III. 1871 zur Kapitulation zwingen.

[18]  Grundlage waren die Verfassung des Deutschen Bundes vom 16. April 1871 In der Zeit des Deutschen Kaiserreichs gab es drei Amtsträger: Wilhelm I., Friedrich III. und Wilhelm II. bis Nov. 1918. – 1883: Krankenversicherung, – 1884: Unfallversicherung  –  1889: eine Rentenversicherung

[19]  liberal: freiheitlich, selbstverantwortlich; sozialistisch: auf die Vormachtstellung und Eigenverantwortlichkeit der Gesellschaft bedacht (Ferdinand Lassalle), die Steigerung ist kommunistisch (nach Karl Marx), die alle Staatsgüter (Macht und materiellen Besitz jeder Art) als dem “Volk“ gehörend bezeichnet

[20]  Es gilt eine negative Entwicklung im Arbeitsleben der Gesellschaft  anzumerken: Neben der Schwerindustrie (Kohle- und Erzabbau und  Arbeit in Eisenwerken wie im Beitragsbild dargestellt) hatte  sich eine Verlagsarbeits-Industrie explosionsartig in Deutschland (und England und Frankreich) verbreitet, die mir lange Zeit als „Heimarbeit“ bekannt war, was ein sehr verharmlosender Ausdruck ist. Wie der Buch-Verleger, der seine Produkte, die literarischen Texte, von privaten Autoren (von Schriftstellern) geliefert bekommt und sie dann nach persönlicher Einschätzung für „verkäuflich“ erklärt und dann in einer bestimmten Auflage ‚verlegt‘ – in den Buchhandel bringt, so lässt auch ein Großindustrieller bestimmte Stückwaren in Heimarbeit und von Privatleuten herstellen: Kleinmöbel zusammenbauen, Stoffe für Textilien weben, färben, nähen, Haushaltswaren für Küchen, Wohn- und Schlafgelegenheiten und Vieles mehr von Familien zu Hause anfertigen und bezahlt diese oft mühsame Arbeit mit Hungerlöhnen. – Durch die Verlagsarbeit, bei der oft die Kleinsten der Familien helfen mussten, entwickelte sich die große gesellschaftliche Gruppe der notleidenden Arbeiter, die in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts in allen europäischen Industriegebieten als verarmte Unterschicht der Gesellschaft, als Proletariat zu finden war und den Kampf des Kommunismus gegen die Bourgeoisie (das Bürgertum) entfachte

 

Anmerkungen   [ + ]

1. Napoleon Bonaparte, geb. 1769 auf Korsika, machte schnell eine militärische Karriere in Paris, beteiligte sich aktiv an der französischen Revolution von 1789 –  Liberté – Egalité – Fraternité  (FREIHEIT – GLEICHHEIT – BRÜDERLICHKEIT bzw. Gechwisterlichkeit), war  inzwischen zum Kaiser der Franzosen gekrönt, er schlug die russisch-österreichischen Truppen bei Austerlitz und die preußische Armee bei Jena und Auerstedt, zwang Spaniens König zur Abdankung, besetzte Holland und die deutsche Nordseeküste. 1812 stand er mit einem Vielvölkerheer vor Moskau, wo seine Armee jedoch fast völlig vernichtet wurde. Ein Jahr später wurde er von Preußen, Russland, Österreich, Großbritannien und Schweden in der Völkerschlacht bei Leipzig endgültig besiegt, kehrte aber 1815 noch einmal auf die europäische Bühne zurück und wurde in der Schlacht bei Waterloo von England (dessen General: „Ich wollt‘ es wäre Nacht oder die Preußen kämen!“) und den Preußen noch einmal vernichtend geschlagen. Napoleon wurde schließlich auf die Insel Helena verbannt und starb dort 1821.
2. Diese befremdliche, zumindest gewagte Aussage kann ich aus eigenem Erleben bestätigen: Als ‚Flüchtling‘ aus dem Preußischen Osten – 1945 bis 2010 offizielle Bezeichnung meines Status, ab 1965 in ‚Vertriebener‘ gemäßigt – bin ich in einer „rein“ bäuerlichen Gesellschaft aufgewachsen, in der die Umgangssprache ausschließlich „Oldenburger Platt“ war. Besonders die Kinder hatten dort vor ihrem 6. oder 7. Lebensjahr kaum eine Berührung mit der hochdeutschen Sprache gehabt, sie lernten hochdeutsch erst allmählich (schriftlich und mündlich!) in ihrer Schulzeit; die Erwachsenen hatten durch Rundfunk-Sendungen und weitere ‚Kommunikationskreise‘ zwar größere Erfahrungen mit Hochdeutsch, pflegten jedoch in den Dörfern/unter sich und erst recht in ihren Familien nachdrücklich ihr Plattdeutsch [Süd-Oldenburger Platt]
3. [Landes-Slogan Baden-Württembergs: „Wir können alles außer Hochdeutsch“] – Mit Recht wird gesagt, dass die in Niedersachsen gesprochene Sprache heute das repräsentiert, was wir eine hochdeutsche Standardsprache nennen, wie sie auch in den 1898 getroffenen Ausspracheregeln für das hochdeutsche Theater und in Österreich und der Schweiz anerkannt werden. -
4. Im Deutschen Bund waren alle Königreiche des „alten Reiches“ vereinigt: Preußen, Hannover, Sachsen, Bayern, Holstein, Mecklenburg, Oldenburg, Hessen, Baden, Württemberg, Dänemark, die Niederlande und das Kaiserreich Österreich
5. Laut Präambel (Vorwort) der Bundesakte hatten sich die Fürsten zu einem „beständigen Bund“ vereint, der Bund hatte lediglich die Aufgabe, die innere und äußere Sicherheit der Gliedstaaten zu gewährleisten
6. Restauration (Wiederherstellung ‚des Alten‘) wird diese als gute alte (und vor allem: romantische) Zeit genannt. Aber sie entwickelte sich zur Geburtsstunde demokratischen Handelns
7. Die Völkerschlacht bei Leipzig vom 16. bis 19. Oktober 1813 war die Entscheidungsschlacht der Befreiungskriege („Befreiung“ von Napoleon). Dabei kämpften die Truppen der Verbündeten Russland, Preußen, Österreich und Schweden gegen die Truppen Napoleon Bonapartes
8. H. U. Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte / Von 1700 – 1990 (5 Bde.), München, Bd. 2, S. 504 ff
9. Biedermeier: ironischer Name für diese Epoche – vom Ende des Wiener Kongresses 1815 bis zur bürgerlichen Revolution 1848 in den Ländern des Deutschen Bundes – der auch für die Malerei und die Innenarchitektur galt: Zeichen einer rückwärts gerichteten, auf Beschaulichkeit und Ordnung bedachten Zeit, die eine romantisch verklärende Literatur feierte: Roman, Novelle und Poesie – häufig aus der Sicht eines ‚Poeten aus seinem Elfenbeinturm‘, waren die Stoffe der Belletristik [der Unterhaltungs-Literatur]
10. Jungdeutsche Autoren waren neben Heinrich Heine mit dem Lyrikband Buch der Lieder. Der wohl bedeutendste Text seiner Reisebericht-Sammlung war Die Harzreise (1826), die nach Heines Wanderung durch den Harz im Sommer 1824 entstand. Als Dramatiker trat Christian Dietrich Grabbe hervor. In seinem bekanntestem Werk, Napoleon oder Die hundert Tage, das 1831 erschien, legte Grabbe wichtige Grundsteine für die Entwicklung des epischen Dramas. Der heute sehr geschätzte Georg Büchner wurde von seinen Zeitgenossen kaum beachtet. 1835 erschien das erste soziale Drama der deutschen Literatur, Dantons Tod; Karl Georg Büchner, 1813 – 1837, Mediziner und Revolutionär – sein Drama Woyzeck, wurde erst 1902 uraufgeführt
11. Schulpolitik blieb auch nach der Reichsgründung Ländersache wie auch in der Weimarer Republik und in der Bundesrepublik Deutschland. So blieben die föderalen Strukturen bis heute erhalten – und mit ihnen deutliche konfessionelle Landesschwerpunkte, die sich erst in der 2. Hälfte des 20 Jahrhunderts auflösten: Katholiken besonders im Süden, Protestanten im (preußischen) Norden Deutschlands
12. Wehler  (s.o.) hat Statistiken militärischer Erfassungsbehörden verglichen und festgestellt, dass in England, Frankreich und Österreich um 1850 noch 40 % bis 45 % aller jungen Männer Analphabeten waren; – Wehler dazu: „Wegen der konfessionsgeschichtlichen … Tradition verwundert es nicht, dass bei dieser Ausbreitung einer grundlegenden Kulturtechnik die protestantischen Regionen und Staaten weit vorn .. lagen,…. Neben den Erziehungsimpulsen der Aufklärung spielte der protestantische Imperativ, zumindest die Heilige Schrift lesen zu können, spielte die spezifisch evangelische Schriftkultur noch immer eine ausschlaggebende Rolle“ [ebd. S. 521]
13. Preußen [mit dem Deutschen Bund und mit Österreich] gegen Frankreich (Kapitulation Frankreichs, Verhaftung Napoleons III., Frankreich wurde eine Republik
14. In England regierte von 1714 bis 1901 „das Haus Hannover“; in Frankreich übernahm nach den blutigen Revolutionen der selbsterwählte Kaiser Napoleon die Macht; 1776 befreiten sich 13 nordamerikanische Staaten vom Englischen Königshof [Unabhängigkeitserklärung]
15. Das Dreiklassen-Wahlrecht, um dessen „gerechte“ Lösung lange gerungen wurde, stellt sich nach unserem heutigen Verständnis als blanker Hohn einer gerechten Wahl dar: Wählen durften nur Männer vom 25. Lebensjahr an, wenn sie weder vorbestraft noch Sozialhilfe-Empfänger noch aktive Soldaten waren. Das Land war in 180 Wahlbezirke(-Kreise) aufgeteilt. In jedem Kreis wurden die  Wähler in drei Klassen (Abteilungen) eingeteilt: Zur 1. Abt. gehörten nur die Wähler, die (zusammen) ein Drittel aller gezahlten Steuern (in diesem Wahlbezirk) bezahlt hatten; für die 2. Abt. waren dann alle Wähler zugelassen, die (zusammengerechnet) das 2. Drittel dieses Steueraufkommens gezahlt hatten; die übrigen Wähler gehörten der 3. Abt. an. – Jede Abteilung entschied somit über 16 Wahlmänner entschieden, die die (eigentlichen!) Abgeordnetenwahlen bestritten [wie noch heute in den USA]. Konkret – aus der Summe der Steuern errechnet – bestimmten über „ihre“ 16 Wahlmänner aus der 1. Abt. 4% der wahlberechtigten Männer – das waren immer sehr wenige (mitunter nur 1 bis 3 Wähler mit sehr hohen Steuerzahlungen, die über 16 Wahlmänner entschieden, aus der 2. Abt. waren es 16% und aus der 3. Abt. sogar 80% aller wahlberechtigten Männer, die ebenfalls „ihre “ 16 Wahlmänner  benennen ‚durften‘, in den Abgeordnetenwahlen waren fortschrittliche Stimmen von vornherein in der Minderheit
16.

Das Protokoll der 1. Demokratisierung Deutschlands:

  • Die Februarrevolution 1848 in Frankreich führte in den deutschen Staaten zur Märzrevolution. In Österreich kam es zu Straßenkämpfen.
  • Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. gestattete auf Druck der Bevölkerung die Ausarbeitung einer Verfassung und gestand den Bürgern Versammlungs- und Pressefreiheit zu.
  • Am 28. März 1849 wurde die Verfassung der Frankfurter Paulskirche verabschiedet, sie bildete später eine Grundlage für die Weimarer Verfassung (Post 20) und nach 1945 für das Grundgesetz unserer Bundesrepublik Deutschland. Später wurde ein allgemeines Wahlrecht, nach der Novemberrevolution von 1918 sogar (!) das Frauenwahlrecht vereinbart. –
  • Viele inzwischen gemachte Zugeständnisse wurden auch wieder abgeschafft, aber 1860 entstanden in Deutschland neue Parteien und Gewerkschaften. [1863 gründete Ferdinand Lassalle den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, der sich 1875 mit der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands vereinigte,  der bis heute bestehenden Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD).]

1862 wurde Otto von Bismarck zum Ministerpräsidenten ernannt, was zu einer Stärkung des Preußischen Königs (Wilhelm I.) gegenüber dem Parlament führte. Es kam zu Spannungen und 1870 zum Deutsch-Französischen Krieg. Preußen konnte alle deutschen Staaten und die europäischen Großmächte auf seine Seite ziehen und Frankreich unter Napoleons III. 1871 zur Kapitulation zwingen.

17. Bismarck, „der eiserne Kanzler“, bekämpfte hartnäckig fortschrittliche Tendenzen in Richtung einer Sozialdemokratie, versuchte aber auch durch eine gemäßigte Sozialgesetzgebung einer drohenden Radikalisierung der Arbeiter entgegenzuwirken. Grundlage waren die Verfassung des Deutschen Bundes vom 16. April 1871 In der Zeit des Deutschen Kaiserreichs gab es drei Amtsträger: Wilhelm I., Friedrich III. und Wilhelm II. bis Nov. 1918. – 1883: Krankenversicherung, – 1884: Unfallversicherung  –  1889: eine Rentenversicherung
18. liberal: freiheitlich, selbstverantwortlich; sozialistisch: auf die Vormachtstellung und Eigenverantwortlichkeit der Gesellschaft bedacht (Ferdinand Lassalle), die Steigerung ist kommunistisch (nach Karl Marx), die alle Staatsgüter (Macht und materiellen Besitz jeder Art) als dem “Volk“ gehörend bezeichnet
19. Es gilt eine negative Entwicklung im Arbeitsleben der Gesellschaft  anzumerken: Neben der Schwerindustrie (Kohle- und Erzabbau und  Arbeit in Eisenwerken wie im Beitragsbild dargestellt) hatte  sich eine Verlagsarbeits-Industrie explosionsartig in Deutschland (und England und Frankreich) verbreitet, die mir lange Zeit als „Heimarbeit“ bekannt war, was ein sehr verharmlosender Ausdruck ist. Wie der Buch-Verleger, der seine Produkte, die literarischen Texte, von privaten Autoren (von Schriftstellern) geliefert bekommt und sie dann nach persönlicher Einschätzung für „verkäuflich“ erklärt und dann in einer bestimmten Auflage ‚verlegt‘ – in den Buchhandel bringt, so lässt auch ein Großindustrieller bestimmte Stückwaren in Heimarbeit und von Privatleuten herstellen: Kleinmöbel zusammenbauen, Stoffe für Textilien weben, färben, nähen, Haushaltswaren für Küchen, Wohn- und Schlafgelegenheiten und Vieles mehr von Familien zu Hause anfertigen und bezahlt diese oft mühsame Arbeit mit Hungerlöhnen. – Durch die Verlagsarbeit, bei der oft die Kleinsten der Familien helfen mussten, entwickelte sich die große gesellschaftliche Gruppe der notleidenden Arbeiter, die in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts in allen europäischen Industriegebieten als verarmte Unterschicht der Gesellschaft, als Proletariat zu finden war und den Kampf des Kommunismus gegen die Bourgeoisie (das Bürgertum) entfachte.